Tagestour im Airbus zur totalen Sonnenfinsternis am 20.03.2015
Ein Pflichtprogramm mit Überraschungen
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Past mid-totality, still from video with compact camera |
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1 minute video on Youtube
Timelapse x20 of 5 min 06 sec centered on totality in 15 sec, out of focus unfortunately due to ice crystals on window
English version via Google translate is not too bad.
Hier der Bericht auf gut deutsch:
Anreise Do, 19.03
"Nein, wir haben keine Sonnenfinsternisbrillen" ist auf einem Schild am Drogeriemarkt zu lesen, während ich mir noch eine Notration für die Bahnfahrt besorge - man weiß ja nie. Eine Ramme rammt Pfähle in den ehemaligen Mittleren Schlossgarten, jetzt Stuttgart 21 Baufeld.
S21 auf Twitter Im angrenzenden Planetarium werden die Erschütterungen aufgezeichnet. Weiter geht es am "Stein des Anstoßes" am denkmalgeschützten Planetarium vorbei, für den die Bahn eine Sonder-Abrissgenehmigung benötigt. So komme ich nie nach Bratislava.
Aber nein, ich will ja "North to the Eclipse", also flugs zum Gleis 9 mit Meißelbaggerbeschallung. Wagenstandsanzeiger gibt es wegen #S21 keine mehr. Der IC 118 der ÖBB (nein, diesmal nicht die Deutsche Bahn) aus Linz ist mit 5 Minuten Verspätung angekündigt, fährt dann nach Meldung einer Lokstörung mit 20 min Verspätung ab und kommt nach einer knappen Viertelstunde auf freier Strecke zum Halt, während die Klimaanlage Brandgeruch verströmt. Es folgen Durchsagen über eine "Bremsstörung", die behoben würde. Währendessen kommen die Passagiere aus dem letzten Wagen nach vorne. Feuerwehr fährt auf und bringt den Schlauch zum Einsatz. Polizei, Notarzt, Bevölkerungsschutz und Presse folgen. Die Freiwillige Feuerwehr Vaihingen/Enz gesellt sich dazu, ohne aktiv zu werden. Eine Notärztin geht durch den Zug und befragt die Passagiere nach dem Wohlbefinden, es werden Wasserflaschen angeliefert und verteilt. Ich sehe schon meine Felle davonschwimmen. Die Sofi und der Reiseveranstalter warten auf niemanden. Nach fast 2 Stunden kann der Zug als Ganzes weiterfahren, bis Düsseldorf hat sich die Verspätung auf fast 3 Stunden ausgedehnt und der Fahrpreis halbiert - Formulare wurden praktischerweise gleich ausgeteilt.
Stgt Nachrichten mit Wiedergabe von zwei Falschmeldungen der Bundespolizei.
SWR-Bericht
Gegen 23 Uhr bin ich am AirBerlin-Checkin im Flughafen DUS und mache es mir auf einem Doppelsitz ohne Lehnen für Schwerbehinderte direkt unter einer Überwachungskamera bequem. Übernachtung am DUS ist ansonsten eher unkomfortabel, wenn man keine Isomatte dabei hat.
E-Day Fr, 20.03.
Kurz nach 3 Uhr morgens kommen Otto und Astrid aus Stuttgart dazu, wir sind also die ersten der Teilnehmer am Finsternisflug AirBerlin AB1000 von Eclipse-Reisen mit AirEvents, Start 07:40. Christian wird vermisst, aber er hat ja nur 15 min Fussweg von seiner Pension. Wegen uns kann's losgehen.
Zuerst mit einem Reporter von RTL ins Gespräch gekommen, dann kommt auch ein ARD/WDR-Team dazu, das mitfliegen wird. Weitere Eclipsechaser treffen ein, man kennt sich größtenteils persönlich oder aus der Lektüre. Ich erkenne Eclipse-Vereran Joe Rao aus New Jersey. Er ist nicht auf dem AirBerlin-Flug der Amis (AB1234 B737-800, Start 07:30), da er in jounalistischer Funktion reist und aus der Luke in der hinteren Tür der A320-200 beobachten darf. Die Travelquest-Gruppe, geleitet von Glenn Schneider (
32. totality) besteht traditionell aus einer Premium-Klientel.
Die Grupo Saros 2015 von den Kanaren ist mit drei Spaniern vertreten. Einer zeigt auf dem Tablet ein ganz frisches SOHO Bild der Sonne LASCO C2 03:12 UT mit einem koronalen Massenauswurf (CME) am Sonnenrand. Das weckt höchste Erwartungen. Bestellt habe ich ansonsten noch Polarlichter, einen Kometen und einen Boliden während der totalen Phase.
Die Organisatoren und Reisebetreuer von Eclipse-Reisen sind pünktlich bis 5 Uhr da. Die große Überraschung ist Daniel Fischer (
Skyweek), der nicht auf der Liste des offiziellen Begleitpersonals steht.
Das Einchecken geht schnell und problemlos, kurz nach 5 Uhr bin ich am Gate B23. Noch viel Zeit, keine Hektik, die Eclipse kann kommen. Trotzdem verbummele ich die Gelegenheit, nach der amerikanischen Travelquest-Gruppe mit Glenn Schneider, U. of Arizona und Kelly Beatty von Sky&Telescope am Gate B27 zu schauen.
Zuletzt Vorstellung der Reiseleiter, Instruktionen und noch ein Gruppenfoto. Mein Sitznachbar in Reihe 14 war Alexander aus Österreich, habe Hr. Hombach mit der Liste gefragt, da diese Information den Teilnehmern nicht mitgeteilt wurde. Jörg Schoppmeyer aus Freiburg hatte ein spezielles Problem, da er auf der ursprünglich zugesicherten B737-800 exklusiv die Reihe mit der Nottür reserviert hatte, welche über 2 Fenster pro Seite verfügt. Der Airbus A320-200 hat nur eines - das dann auch noch vereiste (
SEML 18846).
Der Travelquest-Flug wurde gerade in anderer Richtung geändert wie bei Eclipse-Reisen, also von A320-200 (
Sept. 2013) nach B737-800 (Okt. 2013). Honni soit qui mal y pense. Außer durch größere und weniger abgerundete Fenster zeichnet sich die B737 durch eine fortschrittlichere GPS-Navigation aus. Und im Cockpit wird der Eclipseflugexperte primus inter pares (mit Xavier Jubier) mit seiner Echtzeit-Flugsteuerungssoftware sitzen: Glenn Schneider.
Hier zeichnet sich wieder meine alte Erfahrung ab:
Bei Reisen in die Finsterniszone ist die zweitbeste (meist auch weniger kostspielige) Alternative oft nicht gut genug, auch wenn die Sichtbarkeitschancen weit über 50% liegen.
Das begann 1991 mit "The Big One" auf dem Gipfel des Mauna Kea in Hawaii, während Zehntausende (für viel Geld) an der Waikoloa Coast mit 90% Sichtchance bedröppelt unter Wolken standen. 12 Jahre nach meiner ersten Eclipse in Madras, Oregon war nun das "Eclipse Fever" entfacht. Zentral-Oregon hat für die Great American Eclipse im August 2017 übrigens die besten Wetterchancen. Während Christian Wolter 2009 auf Flight Level 410 über Indien die "Finsternis des Jahrtausends" genoss, stand ich in Shanghai im Regen. Bei fifty/fifty Sichtchancen gewannen bei mir immer die Wolken (1999 Schwäbische Alb, 2008 Altai, 2009 Shanghai). Die 2-wöchige Trekkingtour im Altaigebirge bei meist schönstem Wetter lies aber die Wolke am Abend des 1.8.2008 leicht verschmerzen.
Die 3 entscheidenden Faktoren, um eine totale Sofi zu sehen, sind:
Location, location, location, not duration - Glenn Schneider's Credo.
Der Morgen graut, es herscht Nebel, die Dinge nehmen ihren Lauf.
07:00 Boarding,
07:24 Taxiing, 3. Flugzeug in der Schlange
07:45 Takeoff (geplant 07:40)
Unmittelbar nach dem Abheben ist die Bodennebelschicht durchflogen. Der Mond ist auf Kurs und der Flieger nach Erreichen der Reiseflughöhe von 35000 ft. auch. Zeit zum frühstücken und die Ausrüstung herzurichten.
10:01 Blick durch die Sofi-Brille: Die Sonne ist von rechts angeknabbert.
Paul Hombach simuliert den Eclipse-Countdown und der Sitzplatzwechsel wird zweimal durchexerziert. Ich sitze am Gang und habe den Fensterplatz ab der Mitte der Totalität. Schön, dass Reihe 14 eigentlich 2 Fenster hat, so dass ich meinen aus einer Bierdose gebastelten Kameraadapter die ganze Zeit am linken Fenster verwenden kann. Das Fixieren mit Tesa-Powerstrips funktioniert einwandfrei, allerdings biegt sich die dünne Pexiglasscheibe etwas durch. Geplant ist ein Weitwinkel-HD-Video mit Aufnahme des Schattendurchganges am Himmel und am Boden mit der (verfinsterten) Sonne in der Mitte. Bei der Sofi 2010 in Patagonien war das höchst eindrucksvoll https://www.youtube.com/watch?v=60Fqo1gdeTU
In der Reihe vor mir hat Jörg Schoppmeyer diverse Kameras und Camcorder auf beiden Seiten aufgestellt, teils mit Saugnapf-Halterungen. Das WDR-Team ist beeindruckt und höchst interessiert.
Ich mache noch ein paar Testfotos und -Videos aus dem linken Fenster mit der Lumix G3 und der alten Compactcamera Lumix DMC 150 an 400mm Tele mit Okular 17mm (afokal, Vergrößerung 23,5x) zur Einstellung von Belichtungszeit und Fokus. Jörg Schoppmeyer ist besorgt über einsetzende Eiskristallbildung an den Fenstern. Zumindest in meiner Reihe 14 tritt dasselbe Problem auf, das ich leider nicht ernst genug nehme. Siehe auch
Foto aus Reihe 12 von D. Fischer. Spätestens hier hätte ich auch im Videomodus die Schärfe auf Manual stellen müssen, statt nur die mitlaufende Fokussierung abzuschalten.
10:16 Das Licht auf den Wolken unter uns ist fahl.
10:21 C2 -20 min Countdown
10:36 C2 -5 min Countdown.
Mein Nachbar kniet neben dem Sitz, die Kamera im Anschlag. Ich habe den Finger am Video-Startknopf, mache 5 Minuten vor C2 die erste kurze Testsequenz (ohne Filter). Irgend etwas scheint mit dem Fokus nicht zu stimmen. Das Bild ist überzogen vom unscharfen "Schmutz" der Eiskristalle am Außenfenster. Ich ändere kurzfristig im Foto-Modus die Fokussierung auf manuell.
10:40 C2 -1 min Countdown
Die Kameras klicken. Ich entschließe mich, an den Kameraeinstellungen nicht weiter herumzufummeln und werde 5 Minuten durchgängig aufnehmen. Am Display sehe ich den 2. Kontakt. Exakt zum angesagten Countdown für C2 tritt dieser auf die Sekunde genau ein.
Auf dem Display sehe ich keine schwarze Scheibe - entweder überbelichtet, die Korona ist sehr hell oder ein Fokusproblem. Die Fenster sind so klein, dass ich vom Sitz am Gang die Sonne nicht direkt sehen kann. Mein Nachbar feuert unablässig Salven von Fotos durchs Tele-Zoomobjektiv, ich habe den Eindruck, er kommt kaum zum Schauen.
Dann haben wir schon die Mitte der Totalität, ich darf ans Fenster, den 7*42 Feldstecher im Anschlag. Und was ich sehe, haut mich vom Hocker - gut dass ein bequemer Sessel da ist. Ganz großes kosmisches Kino. Aber nein, das ist keine Simulation. That's the real thing! Ich fühle mich förmlich abgehoben, die räumliche Dimension und die Dynamik des Sonnensystems werden plastisch erfahrbar. Die schwarze Mondscheibe ist umgeben von einer riesigen helleuchtenden perlweißen Korona. Diese ist stark strukturiert mit spitz zulaufenden Streamern in alle Richtungen, fast wie eine Maximumskorona. Das Ganze auf einem tiefschwarzen Hintergrund am Himmel, dem Mondschatten am Boden und den Dämmerungsfarben dazwischen am Horizont. Links die strahlende Venus. Mars ist mir nicht aufgefallen. Ich geniesse das für ca 15 Sekunden mit freiem Auge, dann ca 1 Minute im Feldstecher. Links oben eine Protuberanz, pink, grell und das zur Mitte der Finsternis. Dann greife ich zu der 400mm Apparatur um ein Video zum 3. Kontakt aufzunehmen. Die Kamera meldet: "aus- und einschalten". Mache das, dann Video gestartet, zuerst ohne Tele. Nach Aufsetzen des Teles Probleme, die Sonne freihändig ins Bild zu bekommen und zu halten. Das gelingt gerade noch rechtzeitig, den Diamantring sehe ich nur auf dem Display.
Anschließend noch einige Fotos des abziehenden Mondschattens gemacht und die wichtigsten Eindrücke aufs Video gesprochen.
Fazit und Nachlese:
1) Die Korona war sehr hell
ich habe noch nie eine derart brilliante Korona gesehen.
Einerseits half die Beobachtungshöhe auf 35000 ft (10670m), andererseits trug wohl maßgeblich die hohe Sonnenaktivität bzw. Koronatemperatur dazu bei (
Pasachoff).
2) 7-fache Vergrößerung
durchs Flugzeugfenster bewirkte für mich keine spürbare Beeinträchtigung der Bildschärfe.
3) Polarisationsfilter durchs Fenster
kann man vergessen
4) Flugzeugfenster
4a) Artefakte durch Flugzeugfenster sind unvermeidbar (Reflexionen, Geisterbilder).
4b) Eisbildung an den Außenfenstern: Erfolgte scheinbar an "Kratzern".
"...bilden sich nach einiger Zeit feine Risse, die wie Kratzer aussehen" War das unvermeidbar?
Eine Beeinträchtigung der Totalitätsszenerie durch Eisbildung ist auf beiden Flügen AB1000 und AB1234 ab Düsseldorf festzustellen: es scheint sich "herauszukristallisieren", dass die Reihen über den Tragflächen am stärksten betroffen waren. Über die Ursache wurde spekuliert, z.B. der Nebel in Düsseldorf. Meine 2 Cents: Strömungsverhältnisse/Temperatur über dem Tragflächenansatz? Tragflächen werden von der Triebwerkabwärme
beheizt. Wurden die Fenster auch über der Tragfläche gereinigt?
AB1000
J. Schoppmeyer: "...but our window was almost not usable because of ice."
D. Fischer Reihe 12
AB1234 Video by
David Makepeace: TSE 2015 with Ice Crystals.
Catalin Beldea "from my frosty window".
Perfekte Fotos von AB1000 z.B. bei
Silvia Otto
von AB1234 z.B. bei
Ben Cooper Glenn Schneider Stephan Heinsius
AB1020 ab Zürich perfekte Fotos von
Wolfgang Strickling Keine Fensterprobleme auf AB1020?
Die Problematik ist in einer Patentanmeldung
EP0936138A2 von Airbus vom 01.02.1999 detailliert beschrieben.
Ohne dieses "weiße Rauschen" wären vermutlich auch die Fokusprobleme nicht aufgekommen.
"Uh, AirBerlin, we've had a problem."
5) Flugpfad
Die Flugrichtung während des Totality Runs war nicht rechtwinklig zur Sonnenrichtung wie ursprünglich geplant, sondern um einige Grad nach Norden abweichend.
Siehe "Spot-On: Or VERY Nearly, so! (and the Isavia Story)" bei Glenn Schneider's
Bericht
6) Totalitätsdauer
betrug tatsächlich C3-C2 = 03m 40s +/- 0.7s, gemessen aus dem Video
gegenüber 3m 45.7s berechnet für true airspeed, no wind. Siehe auch Glenn Schneider's
Analyse
7) Jubelschreie
Die gewohnten Jubelschreie zum 3. Kontakt wurden nicht vernommen.
Ist das so üblich auf Eclipseflügen oder macht man das nicht als erfahrener Finsternisjäger?
War es bei den Amis der Travelquest-Gruppe anders? Looks like, see video by S. Heinsius on the "American" A320 https://vimeo.com/122893870
8) Zwei Kameras sind besser als eine.
Irgendwas ist immer.
Wenn dieser Text keine Rechtschreifehler enthält, ist er nicht von mir.
Stand: 28.03.2015
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